Solidarität! Angela Davis und die DDR (2024)

„Angela Davis – in die waren wir ja alle verliebt!“ So hörte ich es neulich bei einerDiskussion über die Kontakte afroamerikanischer Bürgerrechtler*innen zur DDR.In der Tat kam an der Ikone der Black Power-Bewegung in der DDR der 1970erJahre keiner vorbei. Der ostdeutsche Staat rief eine Kampagne für die Aktivistin insLeben, die ihresgleichen suchte. Wer kann sich nicht daran erinnern, in der Schuleeine Postkarte für die inhaftierte Davis geschrieben zu haben? Hunderttausendevon Schreiben gingen in den USA ein; DDR-Presse, -Rundfunk und -Fernsehenwaren voll von Berichten über Davis; in den Schulen und Arbeiter*innenkollektivengehörte das Unterschriftensammeln für ihre Freilassung zum Alltag. So erstauntes kaum, dass Angela Davis Teil der kollektiven Erinnerung all jener Jahrgängegeworden ist, die sich an diese Zeit aktiv erinnern können. Und noch heute bewegtund erregt Angela Davis die Gemüter, so bezeugt es diese Ausstellung. Im Folgendenwird der historische Kontext, in dem sich die Beziehungen der DDR zu Davisbewegten, dargestellt. Zunächst geht es dabei um die Einbettung der Kampagnein die Politik der SED und die Reaktionen auf Davis innerhalb der Bevölkerung.Abschließend ist zu fragen, in welche internationalen Zusammenhänge ihr Engagementeinzuordnen ist.

Von Maria Schubert

Johanna zu retten,
beteten Gläubige einer Nation;
so starb sie.
Angela zu retten,
kämpften Menschliche in aller Welt;
so blieb sie am Leben.

Gruß für Angela, Gruß
allen, die kämpften! [1]

Helmut Preißler: „Gedanken zur Befreiung von Angela Davis“ in Angela Davis: Lieder – Texte – Noten (Berlin: VEB Lied der Zeit, 1972),1.

Die DDR und das „andere Amerika“

Die Entscheidung der SED eine Solidaritätskampagne für Davis ins Leben zu rufen,hatte ideologische wie auch innen- und außenpolitische Gründe. Seit ihrerGründung pflegte der innere Machtzirkel der DDR Kontakte zu kommunistischenParteien im Ausland, zu den herrschenden Parteien in Osteuropa, aber auch zuwesteuropäischen kommunistischen Organisationen sowie zur KommunistischenPartei der USA (CPUSA). Nachdem Davis bereits in verschiedenen Bürgerrechtsorganisationenaktiv gewesen war, trat sie 1968 aus tiefer Überzeugung derCPUSA bei, wie sie in ihrer Autobiografie beschreibt: „I needed to become a part ofa serious revolutionary party. I wanted an anchor, a base, a mooring. I needed comradeswith whom I could share a common ideology.” „I needed to become a part of a serious revolutionary party. I wanted an anchor, a base, a mooring. I needed comrades with whom I could share a common ideology.”[2]

Als Kommunistin galtsie in der DDR als Vertreterin des sogenannten „anderen Amerikas“ – jenes Teilsder US-amerikanischen Bevölkerung, der jetzt noch unterdrückt, aber aus demspäter die erhoffte Revolution hervorgehen würde, so die marxistisch-leninistischeIdeologie.

Doch Davis stellte nicht nur als Kommunistin eine ideale Kooperationspartnerinfür die SED dar. Sie war zudem Teil der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung,der sich die DDR besonders verbunden fühlte.[3] Die SchwarzeBevölkerung wurde in der sozialistischen Welt als Teil des „anderen Amerikas“angesehen. Rassismus galt als Instrument der kapitalistischen Elite, die damiteine Zusammenarbeit der weißen und afroamerikanischen Arbeiterschaft für einekommunistische Revolution unterdrückte. Auf der Grundlage dieser Ideologie57pflegte die Sowjetunion bereits in den 1930er Jahren Kontakte zu afroamerikanischenAktivist*innen.[4] Die SED folgte diesem Beispiel, nahm Verbindungen zurafroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung auf und unterstützte deren Kampffür Gleichberechtigung. Die junge Republik wollte damit demonstrieren, dass derRassismus durch die sozialistische Staatsordnung auf ostdeutschem Bodenbesiegt worden sei. Außerdem erhoffte sich die DDR durch die Solidaritätsbekundungenund Beziehungspflege eine Verbesserung ihres Ansehens im Ausland.In den frühen 1970er Jahren kämpfte der ostdeutsche Staat intensiv um internationalediplomatische Anerkennung im Westen und beabsichtige afroamerikanischeBürgerrechtler*innen als Fürsprecher*innen für seine Positionen zu gewinnen.

So lud die SED bekannte Aktivist*innen zu Besuchen ein, verlegte Bücher afro­amerika­nischer Autor*innen und veröffentlichte eine Reihe von Schallplatten Schwarzer Musiker*innen und Künstler*innen, deren Musik als „progressiv“ galt.Bereits 1958 besuchte W.E.B. DuBois, einer der bedeutendsten afroamerikanischenIntellektuellen und Aktivisten des 20. Jahrhunderts, den ostdeutschen Staat. 1960machten sich der berühmte Sänger und Bürgerrechtler Paul Robeson und seineFrau Eslanda Goode Robeson auf den Weg in die DDR. 1964 verbrachte MartinLuther King Jr. einen Abend in Ostberlin und predigte in der Marienkirche. King warnicht von staatlicher Seite zu diesem Besuch geladen worden, sondern kirchlicheVertreter hatten ihn überzeugen können. Da King dem Kommunismus gegenüberkritisch eingestellt war, hatte die SED ihre Schwierigkeiten mit ihm. Obwohl er alsFührer der Bürgerrechtsbewegung galt, wurde er medial nicht in gleicher Weisehofiert wie Robeson oder Davis. Erst nach seinem Tod entdeckte die SED King fürsich und verkündete ihre Verbundenheit mit ihm. Kings Nachfolger Ralph DavidAbernathy besuchte 1971 die DDR und war noch mehrmals mit seiner Familie zuGast in Ostdeutschland. Die Kampagne für Angela Davis baute demnach bereits aufeiner etablierten Tradition der Verbindungen der DDR zum „anderen Amerika“ auf,die sich bis zum Ende des ostdeutschen Staats 1989/90 hinzog. Die Kampagne istals Höhepunkt dieser Beziehungen anzusehen, stellte in ihrer Intensität und ihrenSpezifika gleichzeitig aber auch etwas Neues dar.

Die Solidaritätskampagne

Seit Januar 1971 verging kaum ein Tag, an dem die DDR-Medien nicht über dieinhaftierte Davis berichteten. Die Jugendzeitung der FDJ junge Welt steigerte dieAufmerksamkeit für die Aktivistin noch einmal, indem sie die Aktion „Eine Million
Rosen für Angela Davis“ ins Leben rief.[5] Sie druckte eine Postkartenvorlage ab,die die Jugendlichen ausschneiden und in die USA senden konnten. Zu Davis’Geburtstag am 26. Januar sollten die Inhaftierte Tausende von Karten erreichen.
Dies war jedoch bei weitem nicht die einzige Aktion der groß aufgezogenenKampagne. Arbeiter*innenkollektive sammelten Unterschriften, Wissenschaftler*innen reichten Petitionen bei der US-Regierung ein und Orchester veranstaltetenSolidaritätskonzerte. In den Schulen sprachen Lehrer*innen mit ihrenKlassen über die Aktivistin und bei den Jungen Pionieren und in der FDJ galtDavis als Vorbild.

Journalist*innen der Staatspresse beschrieben die Aktivistin sowohl alsKommunistin als auch als Bürgerrechtlerin, die aufgrund ihrer politischen Gesinnungund ihres Kampfes gegen den Rassismus Opfer der amerikanischen Justizgeworden sei.[6] Die Berichterstattung betonte immer wieder, wie mutig Davis fürihre Ziele stritt, wie sehr sie in den USA unter den Haftbedingungen litt und dassdie DDR-Bürger*innen an ihrer Seite stünden. Die Protestschreiber*innen übernahmendieses ideologische Vokabular in ihre Solidaritätsbekundungen. So wirdAngela Davis immer wieder als „eine von uns“ angesprochen und das Mitleiden undMitkämpfen mit ihren Zielen betont.[7] Die Schreiber*innen kritisierten ihre hartenHaftbedingungen und forderten ihre sofortige Freilassung. Den Menschen, die anDavis schrieben, waren in ihren Zuschriften enge Grenzen gesetzt, kontrollierten58doch meist Vorgesetzte, Lehrer*innen oder SED-Personal die Briefe. Dennochstellen die vielen, zum Teil aufwendig formulierten und gestalteten Solidaritätsadressenein Indiz dafür dar, dass Davis’ Schicksal viele Menschen in der DDRpersönlich bewegte. Mit den Schreiben war die Hoffnung verbunden, einen kleinenTeil zu ihrer Freilassung beitragen zu können. Auffällig ist sowohl in der medialenBerichterstattung wie auch in den Solidaritätsadressen, dass Davis immer wiederals „junge Frau“ bezeichnet wird. Die bisherigen Bürgerrechtler, die die DDRbesuchten, waren Männer gewesen (mit Ausnahme von Eslanda Goode Robeson,die jedoch in der Berichterstattung hinter ihrem Mann zurückstand). Auch die meisten sozialistischen Arbeiterhelden und -vorbilder waren Männer und wenigeso jung wie Davis. Sie stach somit aus diesem Pool der sozialistischen Helden gleich dreifach hervor – als junge Frau, als Amerikanerin und als Schwarze.

Besuche in der DDR

Am 4. Juni 1972 sprach die Jury in Kalifornien Davis von allen Anklagepunkten frei.Der staatsnahe Dichter Helmut Preißler beschrieb die Befreiung von Davis imzu Anfang zitierten Gedicht als Sieg des Kampfes der „Menschlichen in aller Welt“.Die Parteizeitung der SED Neues Deutschland titelte am 5. Juni: „Protest undSolidarität der Millionen führten zum Erfolg.“[8]Viele, die sich an der Solidaritätskampagnebeteiligt hatten, jubelten und beurteilten den Freispruch als Sieg derinternationalen Solidarität. Davis selbst sah die nationale und internationaleAufmerksamkeit für ihren Fall als essentiell für den Ausgang des Prozesses an.Als Dank für die Unterstützung reiste sie im September 1972 durch Länder, die sichbesonders stark an der Kampagne beteiligt hatten, darunter auch in die DDR.Als Davis auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld landete, begrüßten sie dort 50.000Menschen.[9] Tosender Jubel umsäumte die befreite Bürgerrechtlerin und ihreBegleiter*innen Kendra und Franklin Alexander von der CPUSA. Derweilen hattendie Sicherheitskräfte alle Hände voll zu tun, um die drängelnden Jugendlichenim Zaum zu halten. 500 Junge Pioniere, die geordnet um die Gangway positioniertwerden sollten, rannten ihrem Idol entgegen sobald sie aus dem Flugzeug stieg.Die Staatssicherheit resümierte, dass die Koordination und die Absperrmaßnahmennicht ausgereicht hätten und in Zukunft noch besser organisiert werdenmüsse.[10] Davis traf sich während ihres Aufenthalts mit der Politprominenz derDDR – allen voran mit Erich Honecker und sogar mit dem kurz zuvor abgesetztenWalter Ulbricht.[11] Sie absolvierte mehrere Großveranstaltungen, darunter imFriedrichstadtpalast in Berlin, wo sie in FDJ-Bluse die jungen Zuhörer*innen adressierte.Der Andrang der Menschen war erneut riesig, was die Ordnungswut derStaatssicherheit ins Wanken brachte.[12] In den nächsten Tagen besuchte Davisaußerdem Magdeburg und Leipzig und wurde auch dort bestürmt und bejubelt. In Leipzig verlieh ihr die Karl-Marx-Universität die Ehrendoktorwürde. Diese warzuvor bereits den Bürgerrechtlern DuBois und Robeson verliehen worden undzeigt die Kontinuitäten in den Verbindungen der DDR zur afroamerikanischenBürgerrechtsbewegung. Davis äußerte sich während ihres Aufenthalts begeistertüber den sozialistischen Staat und war voll des Lobes für seine Regierung, wiez. B. in ihrer Rede im Friedrichstadt-Palast: „Wir sehen, was es bedeutet, wenn dieArbeiterklasse die Macht in den Händen hält. […] Es lebe die DDR! Es lebe derproletarische Internationalismus!“[13] In den 1970er Jahren war Davis noch mehrfachzu Gast in der DDR, unter anderem zu den Jugendweltfestspielen 1973.

Davis und ihre Zeit

Davis gehörte zu einer neuen Generation innerhalb der Bürgerrechtsbewegung,die mit ihrem Ruf nach Black Power auf die weiße Mehrheitsgesellschaft eineradikale Ausstrahlung hatte. Die Bewegung adressierte die Polizeigewalt gegenSchwarze und berief sich auf das Recht auf Selbstverteidigung. Nachdem dielegalen Barrieren der Segregation unter der Führung von Martin Luther King Jr.zum Einsturz gebracht worden waren, kämpften Black Power-Vertreter*innenverstärkt für die ökonomische und soziale Gleichstellung der afroamerikanischenBevölkerung. Neben Angela Davis sahen einige dieser Bürgerrechtler*innen imSozialismus eine Inspirationsquelle und manche sogar ein potentielles Zukunftsmodell,um ein Ende des Rassismus herbeizuführen. Verschiedene afroamerikanischeAktivist*innen nahmen die sozialistischen Staaten als Verbündete wahrund kritisierten die Machtverhältnisse in ihrem eigenen Land, indem sie auf dieErrungenschaften des Sozialismus verwiesen.[14] In diesen international agierendenTeil der Bürgerrechtsbewegung ist Angela Davis zu verorten.[15]

Sowohl der große Zuspruch zur Solidaritätskampagne der SED als auch derenorme Andrang und die Begeisterung, die Davis an allen Orten ihrer Reise durchdie DDR entgegenschlugen, zeigen, dass sie jenseits der staatlichen Inszenierungin der Bevölkerung verehrt und bewundert wurde. Zwar waren manche der redundantenBerichterstattung und der ständigen Solidaritätsbekundungen leid, häufigsind solche Beispiele aber eher als Kritik an der staatlich geführten Kampagne undnicht an der Person Davis zu werten.

Zu diesem Davis-Rausch trugen mehrere Faktoren bei. Im SED-Politbüro hatteim Mai 1971 ein Führungswechsel stattgefunden: Der greise Walter Ulbricht wardurch Erich Honecker abgelöst worden. Mit Honecker verbanden viele die Hoffnungauf einen Politikwechsel und auf eine offenere Gesellschaft. Und in der Tatlockerte die SED zunächst ihre Kulturpolitik – ein frischer Wind schien durch dieDDR zu wehen. Davis passte in dieses moderne, internationale Flair, das sich derostdeutsche Staat in dieser Zeit zu geben versuchte.[16]

Davis vertrat klare kommunistische Positionen und konnte nur dadurch zusolcher Berühmtheit im SED-kontrollierten Staat aufsteigen. Ihre Wirkung innerhalbder DDR-Bevölkerung ist damit jedoch noch nicht hinreichend erklärt. Daviswar vielmehr Teil einer globalen linken Bewegung, die in Ost und West Niederschlagfand. Sie transportierte die Nachricht des Aufbegehrens – gegen grassierendesUnrecht, gegen etablierte Machthierarchien, gegen die alte, weiße und männlicheElite. Die afroamerikanische Aktivistin war Projektionsfläche vieler Aspekte derwestlichen Gegenkultur – all jener, die sich gegen den Vietnamkrieg aussprachen,für die Frauenrechte und sexuelle Befreiung demonstrierten, gegen Rassismusund Krieg eintraten; die nach Woodstock pilgerten, gegen die eigenen Elternrebellierten und nach Flowerpower riefen. Ostdeutsche Jugendliche partizipiertenan dieser Protestbewegung, indem sie Davis bejubelten und zum Teil sogar ihrErscheinungsbild nachahmten, wie z. B. den Afro. Durch die Solidarität mit Davisschwamm die DDR damit auf dem Lebensgefühl vieler Jugendlicher mit.[17] Ob dieslängerfristig zu einer verstärkten Zustimmung der Bevölkerung zum SED-Staatbeigetragen hat, sei dahingestellt.[18] Denn Davis verkörperte nicht so sehr den vonvielen als muffig empfundenen Staatssozialismus, sondern den Geist der linkenRebellion gegen die herrschenden Verhältnisse.[19]

Autorin

Solidarität! Angela Davis und die DDR (1) Foto (Ausschnitt): privat Maria Schubert ist Historikerin und promovierte an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Dort erhielt sie mehrere Lehraufträge zu Themen der US-amerikanischen Geschichte und der DDR-Geschichte. Sie veröffentlichte ihre Dissertation mit dem Titel „We Shall Overcome“: die DDR und die amerikanische Bürgerrechtsbewegung im Jahr 2018 im Verlag Ferdinand Schöningh. Seit 2020 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum tätig.

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